Fernpunkt

Über das beliebte Gleichsetzen von Korrelation und Kausalität

Kurz: Was werden aus Statistiken nicht alles für Gesetzmäßigkeiten herausgelesen, von der einträglichen Wirkung akademischer Titel bis zur Gefahr, Waffen mit sich zu führen. Alle diese Schlüsse sind voreilig - sie beruhen auf einem klassischen Denkfehler.

Vielleicht bringt den Unsinn keiner besser auf den Punkt als das kleine, dumme Spätzlein in einer Kindergeschichte. "Zu was schwanken die Zweige?" erklärt es naseweis, "Sollen still stehn, dann gibt's keinen Wind!"

Man könnte darüber schmunzeln, wie das Spätzlein glaubt, nur aufgrund von Beobachtungen Ursache und Wirkung zuordnen zu können. Nur leider ist es damit nicht allein. Die kleinen Spatzen sitzen überall. Sie schreiben wissenschaftliche Studien und Artikel in Zeitschriften. Sie verfassen Werbetexte. Was musste man in den letzten Jahren nicht alles hören und lesen von "nachgewiesenen" Ursache-Wirkung-Zusammenhängen, begründet durch nichts anderes als Statistik. Arbeitslosigkeit macht krank. Jedes zusätzliche Kind einer Familie vergrößert das Armutsrisiko. Ein Doktortitel verbessert das spätere Einkommen; für gleiches werden Abschlüsse an Privatuniversitäten gerühmt. Freundschaften unter Makakenmännchen begünstigen sozialen Aufstieg und Erfolg. Kinder sprechen, lesen und rechnen besser, wenn sie mit geregelten Schlafenszeiten aufwachsen.

illustration

A. Blazic Pavlovic | G. Andrushko

Verblüffend? Nicht im Vergleich zum Folgenden. Bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien im Jahre 2004 stimmten die Wähler nachweislich konservativer, wenn ihr Wahllokal in einer Kirche war. Ebenfalls statistisch bewiesen: Menschen, die Schusswaffen tragen, werden öfter erschossen. Auch der Bundespräsident wusste in seiner Weihnachtsansprache 2010 von einer bemerkenswerten Kausalität zu berichten: Ehrenamtlich tätige Menschen leben länger!

Der unbestreitbare Höhepunkt bleibt aber dieser: Nach den Untersuchungen einer amerikanischen Soziologin hängt die Lernleistung eines Schülers von der Länge des Bücherregals in seinem Kinderzimmer ab. Je mehr Bücher, umso besser die Noten. Mein Gott, hätten wir das doch früher gewusst! Wir könnten alle Genies sein.

Aber die genannten Schlussfolgerungen sind geradezu verzagt, gemessen am Potenzial, das diese Art von Logik bietet. Warum so kleine Brötchen backen? Konsequent weitergedacht, eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten. Eine Familie träumt von einer Reise nach Neuseeland, bringt das Geld aber nicht zusammen? Kein Problem! Sie sollen einfach im Buchladen einen Reiseführer für das Land kaufen. Wie statistisch nachgewiesen ist, stellen sie die Reise damit so gut wie sicher. Ja, so einfach können die Dinge sein.

Auch den chronisch klammen Kommunen kann leicht geholfen werden. Eine statistische Tatsache ist nämlich, dass die Steuereinnahmen von Städten in starker Abhängigkeit stehen zur Anzahl der Fußgängerüberwege. Durch hinreichende Vermehrung selbiger lässt sich folglich jeder Haushalt sanieren - eine wunderbare, unkonventionelle Lösung, die ohne Betrachtung der Statistik wohl niemandem in den Sinn gekommen wäre.

Auf der anderen Seite erlaubt die Statistik einen geschärften Blick auf die Gefahren dieser Welt. Vom Hören klassischer Musik ist abzuraten, denn es verursacht Falten, genauso wie das Fahren teurer Sportwagen und das Zuschauen beim ZDF.

Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, dass Erdbeeren nur dann reifen, wenn die Menschen in leichter Bekleidung an den Beeten und Plantagen vorbei laufen, und nie, wenn sie dabei Wintermantel und Handschuhe tragen? Mit dieser Erkenntnis über den Einfluss der Garderobe sollte sich die Ernte glatt verdoppeln lassen!

Genug des grausamen Spiels. Passiv gewonnene Daten können niemals eine Kausalität nachweisen. Was sie eventuell zeigen, ist eine Korrelation. Wenn aber die Größen A und B korrelieren, dann kann A von B abhängen oder B von A. Oder es kann weder das eine noch das andere der Fall sein, und statt dessen hängen sowohl A als auch B von einer dritten Größe ab. Welche der Varianten vorliegt, geht aus der bloßen Statistik nicht hervor.

Einiges vom eingangs Genannten dürfte einfach Unsinn sein, d.h. es besteht vermutlich nur eine Korrelation, aber keine Kausalität:

Die langlebigen Ehrenamtlichen. Wahrscheinlich sind es einfach die Fitteren, die sowohl häufiger ehrenamtlich tätig sind als auch länger leben.

Das gefährliche Tragen von Schusswaffen. Gemeinsame Ursache für beides, das Tragen der Waffe und das Sterben, ist die Bedrohung.

Das schlau machende Bücherregal. Ohne Kommentar!

Bei den übrigen Beispielen ist eine Kausalität vorstellbar, aber sie ist gleichwohl nur eine unter mehreren möglichen Ursachen für die Korrelation - weshalb vom Nachweis einer Kausalität keine Rede sein kann:

Die kranken Arbeitslosen. Zwischen der Gruppe der Arbeitenden und der Gruppe der Arbeitslosen gibt es Unmengen an statistischen Unterschieden, von denen auch andere als die Arbeitslosigkeit selbst Ursache der häufigeren Arztbesuche sein können. Zum Beispiel das Alter.

Die Armut durch Kinder. Ein schönes Beispiel, denn im Allgemeinen wird der Zusammenhang anders herum formuliert: Ärmere Menschen haben in Deutschland im Durchschnitt mehr Kinder. Dass die Kausalität mal in der einen und mal in der anderen Richtung gesehen wird, zeigt nur: man kennt sie nicht.

Der einträgliche Doktortitel. Der Vergleich der Einkommen von Promovierten und Unpromovierten kann auch hier nur die Korrelation zeigen, die sehr wohl anders zustande kommen kann als durch Kausalität. Promovierte sind im Durchschnitt ehrgeiziger, ausdauernder und intelligenter als der Rest, und all das wären sie auch ohne den Titel. Wer will wissen, ob nicht allein das den Unterschied im Einkommen erklärt?

Die Privatuni. Ähnliche Situation; die Studenten einer Privatuni sind kein Querschnitt der gesamten Studentenschaft. Sie heben sich durch gewisse Merkmale ab; vielleicht Fleiß, Ehrgeiz, Intelligenz oder eine bestimmte Art von Elternhaus. Es ist denkbar, dass sie mit solchen abweichenden Voraussetzungen auch als Abgänger einer staatlichen Hochschule ein deutlich überdurchschnittliches Einkommen erzielen würden. Ob und gegebenenfalls um wie viel die Investition in die Privatuni das spätere Einkommen verbessert, ist mit reiner Beobachtung nicht feststellbar.

Der Aufstieg der Makaken durch Freundschaft. Könnte es nicht sein, dass es einfach ein größeres soziales Talent ist, das den Glücklichen sowohl gute Freunde als auch hohe Positionen einbringt?

Die guten Noten durch geregelte Schlafenszeiten. Wahrscheinlicher als die behauptete Kausalität ist, dass eine gewisse Strenge der Eltern sich in beidem äußert, geregelten Schlafenszeiten und guten Noten. Auf keinen Fall können diese und andere denkbare Erklärungen für die Korrelation einfach ausgeschlossen werden.

Die konservativen Wähler in der Kirche. Ist nicht vorstellbar, dass dort, wo konservative Haltungen vorherrschen, das Wahllokal öfter als anderswo eine Kirche ist?

Jede natürlich entstandene Bedingung hat Ursachen. Alles, was statistisch als Folge dieser Bedingung erscheint, kann ebensogut Folge der gleichen Ursachen sein. Dieses Problem lässt sich nur dadurch umgehen, dass die Bedingung unabhängig von natürlichen Ursachen hergestellt wird, also durch gezielte Eingriffe. Wenn dann eine Korrelation zu beobachten ist, dann ist tatsächlich ein kausaler Zusammenhang sehr wahrscheinlich.

Eine passiv entdeckte Korrelation kann nur durch Argumente auf der Grundlage fachlichen Hintergrundwissens als wahrscheinliche Kausalität aufgezeigt werden. Dazu muss begründet werden, warum genau diese Erklärungen für die Korrelation die wahrscheinlichste ist, keine andere.

Was sollte sich also ändern? Da ich weder Wissenschaftler noch Journalist bin und wenig darüber weiß, was eine Information auf dem Weg von der Forschung in die Medien durchmacht, möchte ich nicht beurteilen, wer die Situation in welchem Maße verschuldet. Als Medienkonsument kann ich nicht erkennen, an welcher Stelle Korrelation und Kausalität gleichgesetzt werden - schon in der Überlegung oder erst in der Kommunikationskette. Vielleicht haben manche der Behauptungen eine solide wissenschaftliche Basis, nur der dumme Laie wird mal eben mit einem Bröckchen Statistik abgespeist. Ich kann aber beschreiben, wem nach meinem Dafürhalten welche Aufgaben zukommen.

  • Die Wissenschaftler: Sie sollten eine festgestellte Korrelation nur mit stichhaltigen Argumenten als Zusammenhang von Ursache und Wirkung beschreiben. Außerdem sollten sie sich bewusst sein, dass die Erkenntnis über einen kausalen Zusammenhang ungleich wertvoller ist als die über eine Korrelation. Wann immer möglich, sollten Kausalitäten das Ergebnis der Forschung sein, auch wenn Korrelationen einfacher festzustellen sind und mit den gleichen Schlagzeilen belohnt werden.
  • Die Journalisten: Sie sollten über eine Korrelation nicht in Worten berichten, die eine Kausalität suggerieren. Wenn es schon in der Headline nicht anders geht, zum Beispiel, weil viele Menschen gar nicht wissen, was eine Korrelation ist, dann sollte wenigstens der Artikel zurückrudern und die Sache richtig stellen. Ob man eine Korrelation zur Nachricht macht oder nicht, sollte davon abhängen, ob sie als Korrelation eine ist, nicht davon, ob sie als Kausalität eine wäre. Wenn es sich andererseits tatsächlich um eine Kausalität handelt, dann sollte der Journalist nicht die Argumentation unterschlagen, die sie dazu macht.
  • Keiner sollte sich von statistischen "Beweisen" in Werbetexten und Auftragsstudien für dumm verkaufen lassen. Bloße Statistik weist keine Ursache nach.

Dem kleinen Spatz bekommen seine Dummheiten übrigens nicht gut. Am Ende der Geschichte hat er es nur dem beherzten Eingreifen der Spatzen-Mama zu verdanken, dass er nicht von der Katze gefressen wird.

09.10.2011

Weitere Themen:
Die letzte Unterrichtsstunde
Wie Nachrichten die Welt zeichnen
Hoch lebe die kleine Idee
Die Welt auf dem Konto
Die Untauglichkeit von Glück als Ziel und Erfolgskriterium einer Gemeinschaft
Kann ein Spiegel Bewusstsein aufzeigen?
Vom bewussten Umgang mit begrenzter Intelligenz
Der Baukasten des Unwirklichen
Zwei Wege, aus Fehlern zu lernen
Empfehlungen sind deskriptive Aussagen
fernpunkt.steffengerlach.de | Kontakt | Impressum